Wer bist du, wenn du nichts tust?

Stephanie Wagner - Führungskräfte Coach
July 22, 2019

"Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden."

Dieses Sokrates-Zitat begegnete mir neulich auf Twitter. Und mir sträubte sich beim Lesen zunehmend das Fell.

Grrr... Nein!!

"Werde die beste Version deiner selbst!"
"The best is yet to come!"
"Stillstand ist Rückschritt."
"Werde Veränderer, JETZT!"
"Innovate or die!"
"Go, go, go!"

Boah, ich KANN es nicht mehr hören! Überall nur noch Selbstoptimierung at its best. Können wir bitte mal die Pausentaste drücken?

"Wer nach außen schaut, träumt, wer nach innen schaut, erwacht."

Sagt C. G. Jung. Hat er recht.

Wer bist du, wenn du nichts tust?

Rückblick: Januar/Februar 2011. Ich habe mir eine Lungenentzündung eingefangen, bei der einfach kein Antibiotikum anschlagen will. Und so verbringe ich diverse Wochen (gut versorgt von meinem Hausarzt) zuhause auf dem Sofa: Mehr liegend als sitzend, wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Entweder schlafe ich, oder ich gucke durch das große Terrassenfenster in den Garten.

Wer erinnert sich an diesen Winter?

Wir hatten Schnee, Schnee und nochmal Schnee. Und so war da draußen alles weiß, teilweise meterhoch von einer weichen Decke verhüllt, alle Konturen waren darunter verschwunden. Nur noch sanfte Linien. Ich war übrigens nicht nur physisch völlig platt, sondern auch kognitiv; ich hatte einen ordentlichen Riss auf meiner inneren Festplatte.

Folglich konnte ich wochenlang (!) nicht lesen, weder Radio noch Hörbuch hören und auch nicht fernsehen. Die Konzentration auf ein Gespräch mit meiner Familie reichte gerade mal für zehn Minuten. Und wenn ich "Krankenbesuch" bekam, konnte ich maximal zwei Menschen gleichzeitig ertragen, deren Anwesenheit mich schon nach einer halben Stunde völlig erschöpfte.

(Dass ich mir als "eigentliche" Ursache für diesen Totalausfall einen fetten Burn-out eingehandelt hatte, fand mein Hausarzt erst viel später heraus.)

Totalausfall.

Jeder Reiz, egal ob optisch oder akustisch, war zu viel. Also guckte ich (wenn ich wach war) einfach nur stundenlang nach draußen: Auf diese weiche, weiße, sanfte, verschneite Welt ohne jegliche Konturen und Kontraste.

Augen und Geist wurden durch nichts "aufgeregt" - und vielleicht kannst du dir das jetzt nicht vorstellen, aber das war die reinste Wohltat. Die Gedanken wanderten scheinbar ziellos herum, denn nicht mal "konkrete" Überlegungen funktionierten. Das tat sooo gut. Einerseits.

Andererseits:

Ich habe in diesem Winter 2010/2011 viele Wochen lang nichts getan, geleistet, bewirkt. Stattdessen WAR ich nur, aber ich TAT eben auch nichts. Ich war komplett auf mich selbst reduziert, ohne irgendetwas vorweisen zu können: Von "Leistung" war sowieso keine Rede, aber es gab auch sonst keine sichtbaren Resultate, nicht mal kluge Gedanken oder schlaue Worte.

Das war völlig ungewohnt: Ich war vorher viele Jahre lang immer unter Dampf gewesen: Alleinerziehend und alleinverdienend, voll berufstätig, Haus, Garten, Hund und Katz'. Und jetzt? Komplett auf Null:

Nur "Ich" sein - reicht das?

Was bleibt von mir, wenn ich eben nichts TUE oder WERDE, sondern einfach nur BIN? Stell dir das mal für einen Moment vor: Wie fühlt sich das an?

Ich war ungeplant in Klausur mit mir selber.

Manch einer geht dafür ins Kloster, ich bin mir damals im Schnee und in der Stille selbst begegnet. Und du kannst mir glauben: Das war nicht immer einfach. Sich selbst auszuhalten und auch mit Ängsten umzugehen. Was ist, wenn ich meine "alte" Power nicht und niemals wieder bekomme?

Diese Zeit war extrem wichtig, denn ich habe genau das gelernt: Mich selbst auszuhalten, die gewohnten Rahmenbedingungen komplett loszulassen (blieb mir ja auch nix anderes übrig 😉) und unbekanntes Terrain zu betreten. Das war die Keimzelle für einen kompletten Neustart (Wenn du neugierig bist, wie es dann weiterging: https://www.stephanie-wagner.de/my-way-wie-ich-wurde-was-ich-bin/).

Komm, ich lade dich zu einem Gedankenspiel ein: Es geht um deinen Selbstwert.

Such dir einen Spiegel und fragt dich: Was bist du wert, was bliebe von dir übrig ohne deinen Job, deine beruflichen Erfolge, deinen Status, dein vielleicht gut gefülltes Bankkonto?

Wer bist du, wenn du nichts anschiebst, umsetzt, keine messbaren Resultate lieferst, keine äußeren Attribute vorzeigst und dich nicht über Leistung definieren kannst? Wenn du eine Weile nichts TUST, sondern einfach nur BIST? Woran bemisst sich dann dein Wert?

Und jetzt hör dir eine Weile zu, was für Gedanken dir in den Sinn kommen.

Bei allem Ehrgeiz und aller Lust auf Erfolg:

Würden wir öfter einfach nur SEIN, anstatt permanent etwas tun oder WERDEN zu wollen, dann können wir aus diesem ewigen "schneller, höher, weiter!" auch mal ein bisschen die Luft rauslassen . Ich bin sicher: Das täte uns allen gut.

Mal wieder mehr "ruhiger, tiefer, näher"?

Das schafft wieder mehr Verbundenheit, Vertrauen und freundlichen Umgang mit sich selbst und anderen: Nicht nur privat, sondern auch im Geschäftsleben. Man stelle sich vor, dass wir uns dann wieder wieder mehr aufeinander verlassen könnten, Zusagen einfach Ehrensache wären und eine Abmachung auch mal wieder per Handschlag gelten würde! Cool, oder? 😉

Das würde uns auch zu besseren Führungskräften, besseren Unternehmern und besseren Arbeitgebern machen.

Unser beruflicher Erfolg und unser privates Glück hängen nämlich maßgeblich davon ab, ob und wie wir mit anderen gute Beziehungen aufbauen können: Mit Familie und Freunden, mit Kund:innen, Mitarbeitenden und Partnern.

Die wichtigste Beziehung ist erstmal die zu uns selbst.

Warum das so ist, und warum unser persönlicher Selbstwert unser wichtigster Unternehmenswert ist, darüber habe ich auch schon mal gebloggt: https://www.stephanie-wagner.de/was-ist-ihr-wichtigster-unternehmenswert/.

Und wenn du nicht warten willst, bis es dich mal aus der Kurve haut: Dann melde dich, damit wir gemeinsam vorsorgen. Ohne Selbstoptimierungsansatz, ohne KPI oder KVP und all das übliche Zeug. Da geht es nur um dich: Was dich und dein Leben gerade bewegt, was dir wirklich wichtig ist: Für mehr Momente des Lachens, der Freude und Zufriedenheit. Und für einen richtig guten Plan.  

PS: Müßiggang ist übrigens NICHT aller Laster Anfang. Müßiggang ist etwas Wunderbares. Und wenn du dich an das Wort trotzdem noch nicht ganz rantraust, nenn das Ganze einfach "Zeit für ungerichtetes Denken". ;-)

Vorheriger Beitrag
Kein vorheriger Beitrag
Nächster Beitrag
Kein weiterer Beitrag

Neugierig?

Ich freu mich, wenn Du mich jetzt anrufst oder eine Mail schreibst.